Dekanatskantor Johann Lieberknecht verabschiedet
Am Pfingstsonntag ist Johann Lieberknecht als Dekanatskantor in der Biedenkopfer Stadtkirche verabschiedet worden. Nach seinem „CREAcTION“-Abschiedskonzert am 1. Juni geht es nahtlos weiter in Herborn. Was ihn dort erwartet, was seine persönlichen Höhepunkte der vergangenen fünf Jahre waren und vieles mehr hat verrät er in diesem Interview.
Was wollten Sie als Kind werden? Lokführer, Schornsteinfeger oder tatsächlich schon Kirchenmusiker?
Johann Lieberknecht: Als Kind mal eine Zeit lang Polizist, aber als es auf den Schulabschluss zuging, tatsächlich Kirchenmusiker.
Die wenigsten Menschen dürften wissen, was ein Dekanatskantor so macht. Wie sieht ein typischer Arbeitstag aus?
Johann Lieberknecht: Das „typische“ an meinem Arbeitstag ist, dass es keinen „typischen“ Arbeitstag gibt – jeder Tag ist komplett anders. Insgesamt sind es etwa 60 Prozent Schreibtischarbeit: Mails, Organisation, Konzertplanungen, Fachberatung und so weiter. Ein großer Teil der für andere gar nicht sichtbaren Arbeit ist im Vorhinein von Konzerten die Programmgestaltung: passende Stücke raussuchen, Noten besorgen oder umschreiben, Probenpläne erstellen, Instrumentalisten engagieren etc. Und auch kleinere Anlässe – wenn zum Beispiel ein paar Konfis etwas im Gottesdienst spielen wollen – erfordern in Sachen Notenumschreiben, Sätze arrangieren, Proben terminieren und durchführen oft einen gar nicht so kleinen Aufwand.
Etwa 20 bis 30 Prozent der Zeit sind wirkliche musikalische Arbeit mit anderen Menschen, etwa Singen in der Kita, Proben mit Kantorei/Projektchor/Kirchenorchester/Kinderchor und natürlich Unterricht mit aktuell sieben jungen Orgelschülern und -schülerinnen. Der Rest sind Sitzungen/Gremienarbeit, und wenn es gut läuft, noch die eigene musikalische Vorbereitung; sprich: üben.
Nach Ihrer ersten Stelle an der Elisabethkirche in Marburg waren Sie jetzt fünf Jahre im Evangelischen Dekanat Biedenkopf-Gladenbach (Einführung 19.6.19) und in der Kirchengemeinde Biedenkopf, mit je einer halben Stelle. Was war Ihr Plan für diese fünf Jahre, welche Projekte wollten Sie angehen?
Johann Lieberknecht: Der Aufbau einer Kantorei, die auch dekanatsweit wahrgenommene Konzerte größerer Art – das heißt, mit Orchester – aufführt, war sicherlich eine Priorität. Daneben war mein Ziel, möglichst in allen Ecken des Dekanats bekannt zu werden und so Menschen für die Kirchenmusik zu begeistern, was sich zum Beispiel in Sachen Orgelschüler recht erfreulich entwickelt hat.
Was ist umgesetzt worden, was durch Corona ausgebremst, was an anderen Faktoren gescheitert?
Johann Lieberknecht: Mein Bemühen, innerhalb eines Jahres in jeder Gemeinde des Dekanats einmal präsent zu sein, habe ich wegen Corona leider auf halber Strecke einstellen müssen, und auch die „Netzwerkbildung“ wurde durch die vielfältigen Maßnahmen natürlich sehr erschwert. Ebenso der Aufbau eines Kinderchores, der in diesem Falle dreimal neugestartet werden musste…
Als einen anderen – ganz praktischen – Hinderungsgrund habe ich tatsächlich den Taufstein in der Stadtkirche erlebt, der ironischerweise am selben Tag wie ich feierlich „wiedereingeweiht“ wurde…bei allem Respekt vor der Bedeutung und Historie dieses wunderbaren Taufsteins nimmt er aus Sicht eines Kirchenmusikers leider sehr viel Platz an einer Stelle weg, wo man für Konzerte eigentlich gerne Sänger bzw. Orchestermusiker hinplatziert hätte… 😉
Und was war das Konzert-Highlight dieser fünf Jahre?
Johann Lieberknecht: Sicherlich die Aufführungen der Schütz-Exequien 2022 und des Fauré-Requiems 2023, beides in kollegialer Zusammenarbeit mit Christian Stark, dem ich dafür nochmal danken möchte.
Wie sehen Sie die Kirchenmusik im Dekanat BiG aktuell aufgestellt? Wie steht es um die Posaunenchöre, wie um Kirchenchöre, um Organisten und Orgelschüler?
Johann Lieberknecht: Das hängt natürlich davon ab, ob und wie lange eine Vakanzzeit herrschen wird – eine lange Pause wäre für keinen Bereich ideal. der Kantorei weiter. Im Moment ist die klassische Kirchenmusik mit der einsatzfreudigen Kantorei, die während der Vakanz mit Christian Stark weiter probt, und den zahlreichen jüngeren Orgelschülern relativ gut aufgestellt. Natürlich bräuchte es sowohl bei Organisten als auch bei Chorsängern und -leitern noch mehr Nachwuchs; bei den Posaunenchören bereitet der Nachwuchsbereich ebenso Sorgen, auch wenn hier die Tendenzen zur Kooperation zwischen Bläserkreisen schon weiter fortgeschritten ist als bei Sängerchören.
Haben Sie ein kirchenmusikalisches Lieblingswerk? Haben wir das erleben dürfen oder können die Menschen im Nachbardekanat an der Dill darauf hoffen?
Johann Lieberknecht: Ja, mein absolutes Herzenswerk ist nach wie vor das Requiem von Brahms, das aber wegen der benötigten Größe von Chor und Orchester nicht so leicht aufzuführen ist…
Was werden Sie vermissen, wenn Sie zurückdenken an die Arbeit in den vergangenen fünf Jahren? Und auf was blicken Sie stolz zurück?
Johann Lieberknecht: Vermissen werde ich die treuen Mitsänger und -sängerinnen im Chor sowie die gute Stimmung auf Dekanatsebene sowie die Unterstützung durch die Dekanatsleitung; „stolz“ wäre vielleicht zuviel, aber ich kann doch recht zufrieden sein, dass sich meine Bemühungen um Bekanntwerden als Dekanatskantor nach der Coronazeit ausgezahlt hat: Ich habe in den letzten Monaten/Jahren schon gemerkt, dass ich immer selbstverständlicher der Ansprechpartner für viele Anfragen aus allen Nachbarschaftsräumen wurde, was ja einer der Hauptzwecke dieser Stelle ist.
Und auf was freuen Sie sich jetzt schon, was Sie in Herborn erwartet?
Johann Lieberknecht: Auf eine Kirche mit mehr Platz, auf etwas mehr gewachsene Strukturen wie einen Kirchenmusik-Ausschuss und einen Förderverein und auf etwas weniger verschiedene kleine Aufgabenbereiche – es wird vermutlich etwas mehr Fokussierung auf den künstlerischen Bereich geben. Außerdem bin ich natürlich positiv gespannt auf die Arbeit mit den Vikaren im Theologischen Seminar.
Wen würden Sie gerne mal treffen oder kennenlernen?
Johann Lieberknecht: Ziemlich viele Leute, die ich bewundere, von J.S. Bach über Helmut Schmidt bis zu Lionel Messi.
Wo ist künftig der Wohnsitz? Ziehen Sie mit Ihrer Familie nach Herborn um oder bleiben Sie in Marburg?
Johann Lieberknecht: Da meine Frau als Grundschullehrerin erst in einem dreiviertel Jahr nach der Babypause wieder einsteigt, müssen wir dann mal schauen, ob und wo eine Stelle für sie frei wird; das heißt, ich werde zunächst mal pendeln. Im Moment hat Marburg auch familiär gesehen noch relativ viele Vorteile, aber wir schauen mal, wie sich das in einem halben Jahr gestaltet.
Die bisherige Stelle ist neu ausgeschrieben, es liegen auch schon Bewerbungen vor. Haben Sie einen oder mehrere Tipps für Ihre Nachfolgerin / Ihren Nachfolger?
Johann Lieberknecht: Das ist schwer zu sagen – jeder hat seine eigenen Stärken, und vielleicht fällt ihm/ihr ja das in den Schoß, worin ich vielleicht hätte weiterkommen können – zum Beispiel mehr Erfolg bei der Kooperation mit den Schulen in Biedenkopf. Insgesamt wird die Arbeit in Zukunft angesichts der Nachbarschaftsräume vielleicht noch weniger zentral ausgerichtet sein und noch mehr Vernetzung über Gemeindegrenzen hinweg erfordern.
Wer in Chören singt oder ein Instrument spielt, ist ehrenamtlich und ohne Entgelt unterwegs. Ist die Kirchenmusik eigentlich auch für Sie noch Hobby oder sammeln Sie Briefmarken?
Johann Lieberknecht: Briefmarkensammeln habe ich ehrlich gesagt nie verstanden…am ehesten wäre es bei mir noch Sport, vor allem Fußball und Snooker, den ich selten aktiv und ab und zu passiv – also auf der Couch – „praktiziere“, aber bei drei kleinen Kindern bleibt ehrlich gesagt kaum Zeit dafür…
Das Interview mit Johann Lieberknecht führte Klaus Kordesch, der Öffentlichkeitsreferent des Evangelischen Dekanats Biedenkopf-Gladenbach.